Eine übernatürliche Suche #3 – Ninja, von Thorben
Seit ich mit dem Bujinkan Training angefangen habe, bin ich sehr stark von dem Bild des Ninja fasziniert. Die Lebensweise der Ninja als einfacher Mensch, und nicht als stilisierte Krieger ist dabei für mich besonders interessant. Oft wird ein Ninja als einfacher Bauer, Schausteller oder Mönch porträtiert aber auch als großer und gerissener Krieger. Nicht zwangsläufig ein Einfaches, aber, wie ich finde, mit Sicherheit spannendes Leben. Doch diese Beschreibungen sind oft auf das historische Bild eines Ninja bezogen. Wie aber sieht ein Ninja heute aus? Wie lebt er?
Diese Fragen stelle ich mir seit ich mich entschieden habe, tiefer in die Welt des Bujinkan einzutauchen. Ein Satz geht mir dabei immer besonders durch den Kopf. Er stammt von Soke Masaaki Hatsumi, aus seinem Buch: „Essence of Ninjutsu“. Frei übersetzt heißt es dort: „Wir [Bujinkan-Trainierende] sind Ninjas der Moderne, die sich durch den Dschungel der Großstadt kämpfen müssen“. Ein sehr bildlicher und fast fantastischer Satz, aber nach längerem Betrachten ist es gar nicht so weit hergeholt.
Tradition und Moderne
Das Bujinkan blickt auf eine fast über 1000 Jahre währende Traditionslinie zurück. Diese enthält nicht nur kämpferische Elemente, sondern auch viele andere nützliche Fähigkeiten, die ein Ninja zum (Über-)Leben benötigt. Dieses Thema hatte ich bereits im meinem letzten Artikel behandelt. Der zentrale Punkt dabei ist jedoch nicht nur die wunderbare Vielfalt des Bujinkan, sondern auch die Idee hinter den ganzen Möglichkeiten. Um es mit den Worten meines Lehrers Florian Rotter zu sagen: „Ich will euch nicht die Technik beibringen, ich will euch das Feeling für die Technik beibringen. Denn das Feeling ist das entscheidende an der Technik.“ Jeder, der Bujinkan trainiert, hat bestimmt schon mindestens ein paar Male den Satz gehört: „Eigentlich ist alles was wir hier machen ein und dasselbe.“ Und desto länger ich dabei bin, finde ich, stimmt das auch.
Kata-Training ist gut, um eine bestimmte Form zu üben, um ein Gefühl für diese Form zu bekommen. Doch es ist statistisch recht unwahrscheinlich, dass man diese gelernte Form 1 zu 1 auf eine richtige Kampfsituation übertragen kann oder wird. Man kann aber das Gelernte „in der Art“ benutzen, um damit eine solche Situation zu überstehen. Dabei wird man dann aber bestimmt nicht so schön aussehen, wie in machen YouTube-Videos. Doch das ist auch nicht schlimm, denn es geht im Bujinkan nicht um das Aussehen, sondern um die Effektivität. Hat man also die Idee hinter einer Technik verstanden und erlernt (dies ist jedoch schon etwas, was bestimmt Jahre und Jahre der Übung braucht; mir fällt keine Technik ein, die ich wirklich verstanden und erlernt habe). Kann man die in jeder (passenden) Situation in beliebiger Abwandlung anwenden.
Der moderne Ninja
Was aber lernen wir nun daraus für unsern modernen Ninja? Was den Kampf angeht, so haben sich die Utensilien und Accessoires augenscheinlich stark verändert, doch auf den zweiten Blick muss das nicht wirklich der Fall sein. Aus Wurfsternen, welche zum Blenden gedacht sind, kann man Wurfkarten machen. Ein Kugelschreiber kann zu einem Kubotan werden und die mittlerweile verpflichtend gewordene FFP2-Maske wird zur Ninja-Verkleidung. Früher musste man sich der Region entsprechend kleiden als Mönch, Wanderhandwerker oder Schauspieler.
Dazu kamen Roben für die Natur, um sich zu verstecken. Heutzutage geht man als BWL-Student mit Chino-Hosen und Sneakern, oder als IT-ler mit Karo-Hemd und Jeans in einer Stadt in der Menge unter und kann sich wie der Baum im Wald vor aller Augen verstecken (zugegeben, dies sind stark stilisierte und vorurteilsbehaftete Bilder, aber es geht nicht darum jemanden zu beleidigen oder Vorurteile zu fördern, sondern um eine bildliche Idee beim Leser zu erzeugen). Technisches Wissen ersetzen unter Umständen die Fähigkeit, Feuer aus gesammeltem Holz zu machen. Denn die Ideen bleiben gleich: Passe dich deiner Umgebung an, um unauffällig zu bleiben und um zu überleben.
Das Herz des Budo
Natürlich ist der moderne Ninja nicht nur ein Kämpfer. Es geht weiterhin darum, das Herz des Budo zu bewahren. Aufgeschlossenheit, Höflichkeit und Disziplin sind Konzepte, die weiterhin Gültigkeit haben. Heutzutage drücken sie sich unter Umständen anders aus als früher, aber sie sind nicht ersetzt worden. Dies alles trägt meiner Meinung zum Bild des modernen Ninja aus der Großstadt bei. Selbstverständlich ist es wichtig, die Tradition zu ehren und zu pflegen, schließlich ist es unser Erbe und unser Quell der Inspiration, aber es ist durchaus gestattet, mutig nach vorne zu blicken, um sich und seine Fähigkeiten der Gegenwart und der Zukunft anzupassen. Neues ist nicht immer schlecht, nur weil es einem unbekannt ist. So können auch wir jederzeit und überall Ninja sein, zwar ohne schwarze Roben und schicken Schwertern, dafür mit Softshelljacken und Smartphones.
Dies ist, wie ich finde, ein sehr interessanter Gedanke für das allgemeine Training, ob nun im Dojo oder zuhause im Lockdown. Es gibt genug, was man lernen kann und wenn man nichts Neues zum Lernen hat, kann man dennoch bereits Erlerntes erneut revidieren, verändern und vielleicht an die Moderne anpassen.
Ninpo Ikkan
Thorben