Kyojitsu – Eine übernatürliche Suche -Teil 5 „Halbzeit“

Train the Trainer - Integrating Kyojitsu

Kyojitsu tenkan ho ist die Methode die Wahrnehmung des Angreifers zu kontrollieren.

Seit 4 Jahren trainiere ich nun schon Bujinkan Budo Taijutsu. In dieser Zeit konnte ich viele verschiedene Eindrücke gewinnen, habe verschiedene Seminare und andere Dojos besucht und konnte auch erfolgreich die Prüfung zum 5. Kyu ablegen.

Die Entscheidung, explizit diese Kampfkunst zu erlernen und weiter zu verfolgen viel bei mir bereits nach einem Monat Training. Ausschlaggebend war hierfür aber nicht nur das Training bei Florian-Sensei, unser Dojo, oder unsere Gruppe, sondern ein Seminar in Berlin mit Dai-Shihan Rob Renner 2019. Auch dieses Jahr kam Rob Renner erneut nach Deutschland, nach Berlin und nach Hannover. Da der 5. Kyu quasi die Hälfte der Leiter zum 1. Dan markiert (zumindest auf dem Papier, die Zeiträume hierzu können sich durchaus noch vergrößern), kommt dieses Seminar zum passenden Zeitpunkt, um eine Zwischenbilanz zu ziehen.

Das Thema der diesjährigen Seminarreihe lautete: „Integrating Kyojitsu“. Seminarreihe deshalb, da es sich um zusammenhängende Trainings in Berlin und Hannover handelte UND es zusätzlich zwei vorbereitenden Trainingseinheiten via Zoom gab. Beide Kyojitsu-Seminare folgten dem altbekannten Muster, es gab die Möglichkeit viel zu trainieren und die Abendveranstaltungen waren eine ideale Möglichkeit, sich unter einander auszutauschen. Hervorstechend dieses Mal waren jedoch die Zoom-Vorbereitungen.

Kyojitsu – Zoom Training

Kampfkunst via Zoom klingt zwar im ersten Moment nach einer typischen „McDojo“-Idee, es hat zu meiner großen Überraschung aber recht gut funktioniert:
Wir haben uns mit allen Teilnehmern (aus Hannover) in unserem Dojo getroffen, einen Beamer aufgebaut und anschließend die von Rob-Sensei präsentierten Übungen ausprobiert. Durch einen entsprechenden Webcam-Aufbau konnte unser Training auch entsprechend mit Feedback versorgt werden. Im Endeffekt also ein „normales“ Training, allerdings in der Lite-Variante da keine Korrektur in Persona vorgenommen werden konnte. Darauf Rücksicht nehmend wurden auch nur Grundlagen wiederholt, die im Seminar Vorort anschließend vertieft wurden. Technisch sehr gewitzt und für weitere Seminare würde ich mich so etwas auch sehr gerne wünschen. Ein Zoomtraining ersetzt aber auf keinen Fall ein „echtes“ Training, mit Anwesenheit aller Teilnehmer und Lehrer.

Trainiert wurde in dieser Seminarreihe vor allem die Kontrolle des Kukan. Die Kampfzwiebel, wie Florian-Sensei den Begriff Kukan gerne umschreibt, beschreibt ein abstraktes Relationsmodell der räumlichen Ausdehnung zwischen zwei Kämpfenden, in welcher effektive Angriffe wirken können. Hierfür wurden verschiedene Drills in verschiedenen Dynamiken geübt, um die behandelten Inhalte verständlicher, aber auch anwendungsbezogener zu machen. In der jeweils letzten Einheit an beiden Sonntagen wurden abschließend nocheinmal auf das von Rob-Sensei verwendete Lernmodell für die Kyojitsu-Seminarreihe eingegangen, ganz im Stil von Soke. Nichts verraten sondern kleine Hinweise geben.

Rob Renner - Integrating Kyojitsu

Totoku – be the plow, not the cow

Doch was ist nun das Ergebnis des Seminars? Im wesentlichen habe ich zwei verschiedene Sachen gelernt. Zum einen die Art und Weise, wie am effektivsten die Kontrolle über Kukan übernommen werden kann, unter Zuhilfenahme von Totoku. Dies muss durch das nun auf das Seminar folgende Training noch vertieft und gefestigt werden, jedoch wurden hierfür explizit viele verschiedene Drills gezeigt, um dies zu unterstützen. Variiert wurden hierbei jeweils, Kraft, Geschwindigkeit, Widerstand, Umfang und der Winkel von Tori und Uke zueinander während der Übungen. Das besondere hierbei war für mich jedoch die verschiedensten Ausprägungen des Totoku-Prinzips. Es wurden auch Variationen gezeigt, die ich im ersten Moment als recht konter-intuitiv empfunden haben. Jedoch genau diese unterschiedlichen Ausprägungen eines Prinzips zeigen auch, dass es für bestimmtes im Budo nun eben wesentlich mehr als nur eine Kata gibt. Diese Erkenntnis ist natürlich auch im Bujinkan anwendbar.

Widerstand vom Gegner

Weiterhin stach die Art des Trainings hervor. Anders als im Bujinkan weit verbreitet haben wir aktiv die Situation der Anwendung immer verändert. Auch wurde aktiv von Uke versucht, Tori an der Ausführung der Technik zu hindern. Dies ist meiner Meinung nach aus zwei Gründen sehr wichtig. Zum einen das offensichtliche, der Widerstand vom Gegner. Niemand möchte gerne, dass seine Hand gehebelt wird. Darum werden sich die meisten auch gegen seinen Handhebel wehren. Übt man die Techniken jedoch nicht mit Widerstand vom Partner/Gegner, ist man in einer echten Situation vermutlich nicht in der Lage adäquat das erlernte einzusetzen. Das zweite ist die ständige Veränderung der Situation. Damit sind viele verschiedene Umstände gemeint, Winkel des Angriffs, Art des Angriffs, Handicaps des Verteidigers…

Rob-Sensei beschrieb dies als eine der Ausprägungen von Henka, der Abwandlung der der Technik. Ist man nicht in der Lage, jede Technik in jeder Situation anzuwenden, so hat man die Technik nicht korrekt verstanden bzw. gelernt. Dieses Prinzip wird auch für mein weiteres Training weiter im Vordergrund stehen.

Fazit

Alles in allem war die Kyojitsu-Seminarreihe mit Rob Renner eine hervorragende Veranstaltung. Es konnte viel gelernt werden, viele Bekanntschaften konnten geschlossen und aufgefrischt werden und das gemeinsame Beieinander ausreichend genossen und gefeiert werden. Ich freue mich schon sehr auf die kommenden Seminare.

Doch nun zur angekündigten Halbzeit-Bilanz, hat das Training der vergangenen Jahre etwas gebracht? Hierauf ist mit einem eindeutigen JEIN zu antworten. Zwar habe ich wesentlich mehr verstanden als beim letzten Seminar 2019, ich konnte mein Erlerntes auf die Probe stellen, aber die Ultimative Technik gab es erneut nicht. Dafür aber ein meiner Meinung nach wichtiger Hinweis auf das, was ich suche. Bereits oben angesprochen wurden immer verschiedene Prinzipien. Diese wurden genutzt, um eine unbekannte und chaotische Situation zu ordnen, um dann anschließend eine Technik anzuwenden. Schlussfolgern lässt sich also, dass mein Ziel vermutlich falsch gesteckt war: Ich suche keine Technik, sondern ein Prinzip. Möglicherweise auch mehrere….

Ninpo Ikkan